Interview mit den Gewinnern des städtebaulichen Wettbewerbs „Neue Mitte Boxdorf“, der Familie Vallentin von der gleichnamigen Architekturwerkstatt Vallentin aus München.

Liebe Familie Vallentin, wir freuen uns als eigentümergeführtes Unternehmen sehr darüber, dass auch die Preisträger ein echtes Familienunternehmen sind. Bitte erzählen Sie etwas über Ihr Büro.

 „Wir gehen nicht langsamer in die falsche Richtung, sondern setzen positive Impulse.“ – unter diesem Leitgedanken wurde 1993 die ArchitekturWerkstatt Vallentin von Gernot und Rena Vallentin gegründet – bis heute ist dieser Aufruf Hauptbestandteil der Bürophilosophie. Die Intention, durch die eigene Arbeit einen positiven Einfluss auf unsere Umwelt zu schaffen, ist in der ArchitekturWerkstatt Vallentin fest verankert. Das verfolgte Ziel für die Architektur muss daher immer lauten, einen Mehrwert zu schaffen der über den Bauraum hinausstrahlt und nicht nur für die Eigentümer einen Vorteil darstellt, sondern auch für unsere Umwelt, das Klima und kommende Generationen. Im Unternehmen wird dieses Ziel von allen Mitarbeitenden verfolgt.

Die ArchitekturWerkstatt legt ihren Fokus insbesondere auf drei Prinzipien der Nachhaltigkeit: Suffizienz, Effizienz und Konsistenz. Die Suffizienz beschreibt eine möglichst ressourcenschonende Methodik, die für eine einfache und ökologische, aber auch eine ökonomische Bauweise spricht. Effizient ist ein Bauwerk, wenn es mit geringem Aufwand eine positive Bilanz erzielt. Kernthematik ist hier die Energieeffizienz, auf der wir mit dem Passivhaus antworten, einem Gebäude, das im Jahresschnitt nicht mehr als 15 kWh verbraucht. Durch die Nutzung erneuerbarer Energien kann so ein klimapositives Bauwerk geschaffen werden. Die Konsistenz bedeutet, dass ein Haus möglichst lange Bestand haben sollte, das bedeutet einerseits, dass die Nutzenden ein Interesse daran haben ein Bauwerk zu erhalten, umzunutzen oder zu erweitern, andererseits, dass wir als Architekten eine Verantwortung haben, ein „gutes“ Bauwerk zu errichten, das auch altern darf.

 

Die meisten Menschen dürften noch nie an einem Architektenwettbewerb teilgenommen haben. Beschreiben Sie doch den Prozess einmal, der hinter der Erstellung Ihrer Siegerarbeit steckt.

Wettbewerbe durchlaufen bei uns einen „Kreativen Prozess“, der jedes Mal ein anderer ist. Baukultur kann nur entstehen, wenn wir ortsspezifische Lösungen entwickeln – selten wird heute noch auf der „grünen Wiese“ gebaut. Der Entwurfsprozess für die „Neue Mitte Boxdorf“ begann mit einer genauen Analyse der Grundlagen und dem Herausarbeiten von Schlüsselfragen: „Was wünschen sich die Bauherren und die Anwohnenden?“, „Welche Ansprüche haben die künftigen Nutzer?“, „Wie kann die Identität des Ortes gestärkt werden?“, „Wie wollen wir in Zukunft leben?“. Antworten wurden dann in intensiven Diskussionen gesucht. Damit die Debatte dann konkreter werden konnte, wurden als Arbeitsgrundlage projektspezifische Werkzeuge geschaffen: analoge und digitale Modelle, Fotografien des Ortes, erste Ideenskizzen, Texte und Metaphern. Durch die Begehung war schnell klar, dass die gestellte Raumplanungsaufgabe eine außerordentliche planerische Sensibilität erfordert. Boxdorf braucht ein starkes identitätsstiftendes Zentrum, das Vorbildfunktion übernimmt und eine Vermittlung zwischen „Neuer Mitte“ und „Altem Boxdorf“ schafft. Boxdorfs Geschichte bildet vor diesem Hintergrund eine Basis und ein Potenzial für die Planung. Das entwickelte Konzept muss durch einen selbstständigen Charakter neue qualitätsvolle Räume im Kontext schaffen und gleichzeitig auf den Bestand reagieren und diesen behutsam ergänzen, nur dann kann Boxdorf Synergieeffekte von alt und neu voll ausschöpfen.

Folglich wurden verschiedene, meist konträre Ansätze überprüft, das bedeutet Ideen wurden digitalisiert und Grenzwerte kontrolliert, nur um sie dann zu unterschreiten und zu überschreiten, damit die beste Lösung gefunden werden konnte.

 

Wir erhalten zu Ihrer Gestaltung der „Neuen Mitte Boxdorf“ viel positive Resonanz. Die Jury hatte ihre Entscheidung nach kurzen Beratungen einstimmig getroffen. Beschreiben Sie Ihren Entwurf doch bitte in eigenen Worten.

Der städtebauliche Leitgedanke für die „Neue Mitte Boxdorf“ behandelt nicht wie herkömmlich zuerst die Architektur der neuen Bauwerke, sondern die des Bestands, der Plätze und Zwischenräume. Das entstandene Gefüge bindet die beiden erhaltenswerten und identitätsstiftenden Bauwerke der alten Ziegelei ein und stärkt sie durch das Schaffen von Sichtachsen mit Blick auf beide Gebäude. Gleichzeitig wird um die beiden Bauten der Raum aufgespannt und so eine Sequenz von drei unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von der Boxdorfer Hauptstraße bis zur Alten Ziegelei geschaffen. Das starke und feinmaschige Netz öffentlicher Räume und Plätze schafft ein Raumkontinuum und bestimmt die Baubereiche. Mit der Kleinteiligkeit, den unterschiedlichen Plätzen, der Bebauungsstruktur, den differenzierten Öffentlichkeitsgraden und dem Bezug auf die beiden ortsprägenden Bauten wird der Mensch als natürlicher Teil der Quartiersentwicklung verstanden und nicht als außenstehender Nutzer. Die „Neue Mitte“ ist ein maßgeschneiderter Treffpunkt für den sozialen Austausch und Begegnungen zwischen den Bewohnern Boxdorfs und deren Gästen.

Die entstandene Folge von kleineren, miteinander verknüpften Plätzen wird definiert von besonderen Gebäuden. Im Norden an der Boxdorfer Hauptstraße befindet sich der „Kirschbaumplatz“, an welchem der Kirchweihbaum an prominenter Stelle aufgestellt wird, und leitet über den „Marktplatz“ vor der neuen Markthalle zum „Boxdorfer Hauptplatz“, der mit giebelständigen Hausfassaden eine heterogene, scheinbar gewachsene Kulisse bildet. Von hieraus gelangt man über das „Grüne Band“ in Richtung Süden zum Fußballplatz, sowie den Spazier- und Radwegen in Richtung Nürnberger Innenstadt.

 

Ökologisch, nachhaltig und sozial sind in unserer Projektgestaltung drei wichtige Kernbegriffe. Ihr Büro hat in den vergangenen Jahren in diesen Bereichen viele Auszeichnungen erhalten. Warum ist ein neues Bewusstsein bei der Planung von Stadtquartieren so wichtig?

Nachhaltige Stadtplanung ist komplex und besteht aus vielen Komponenten, die es zu beachten gilt: zukunftsfähige Mobilität, klimagerechte Architektur und Freianlagenplanung, Schaffung qualitativer Räume und Zwischenräume, aktive Nutzung, um nur einige wenige aufzuzählen. Entwerfen wir heute ein Stadtquartier, müssen wir uns als Planende mit diesen Themen auseinandersetzen und Lösungen anbieten die Synergieeffekte zwischen den unterschiedlichen Komponenten hervorrufen.

Auf sozialer Ebene beispielsweise sollte ein Quartier möglichst heterogen sein und Angebote für alle Generationen bieten, insbesondere um einen „Miteinander“ zu ermöglichen. Für den sozialen Austausch müssen Planende einerseits qualitativ hochwertige Außenflächen und Treffpunkte anbieten, die dem menschlichen Maßstab entsprechen, zusätzlich sollten Wohn- und Geschäftsgebäude entworfen werden, die flexible Nutzungen und Grundrissmodifikationen ermöglichen. In Hinblick auf den Demografischen Wandel und Veränderungen im sozialen Gefüge muss ein Quartier die Zukunft mitdenken. Ein fertiges Stadtquartier mit einem nachhaltigen sozialen Bewusstsein stellt schlussendlich nicht nur für die Bewohnenden einen deutlichen Mehrwert dar, sondern auch für die Nachbarschaft – erst dann fügt es sich vollends ein.

Beachtet ein Quartier all diese Punkte spricht man von Resilienz, das bedeutet das Quartier ist anpassungsfähig.

Resilienz ist essenziell auch in Bezug auf die klimatischen Veränderungen durch die Klimakrise, die es bei der Planung jetzt schon zu beachten gilt und der wir durch klimagerechte Architektur und mit Konzepten für das Mikroklima entgegenwirken. Maßnahmen für ein verbessertes Stadtklima und zur Vermeidung von Hitzestaus sind beispielsweise das Schaffen eines „durchlässigen“ Städtebaus, um Durchlüftung im Stadtraum zu ermöglichen, offene Wasserflächen, sowie Fassadenbegrünung zur passiven Kühlung. Kombiniert mit einer Klimagerechten Architektur, dem Passivhaus, das durch eine gute Dämmung im Sommer die Kühle im Haus hält und im Winter die Wärme; so entsteht ein klimaresilientes Quartier.

 

Ihr städtebaulicher Entwurf stellt eine erste Gliederung des Gebiets dar. Bis zur fertigen Planung jedes einzelnen Gebäudes dürfte noch etwas Arbeit in das Projekt fließen müssen. Wie ist der weitere Ablauf.

Der Vorteil des Entwurfes spiegelt sich in seiner Anpassungsfähigkeit wider. Die Gebäude und Nutzungen können jetzt präzise ermittelt und angepasst werden, ohne, dass das Gesamtkonzept darunter leidet. Die genauen Bedarfe werden in Abstimmung mit den Bauherren, der Stadt Nürnberg, potenziellen Nutzern und der Nachbarschaft ermittelt und fließen im Anschluss in die Planung ein. Nach der Zustimmung aller Beteiligten beginnen wir sukzessive aus der Vision, Realität werden zu lassen. Als Planungsbüro das Projekte auch während der Bauphase begleitet legen wir auch hohen Wert auf die Ausführung und qualitative Details, die dem Projekt langfristig eine Wertigkeit verleihen. Sobald der Bau abgeschlossen ist, freuen wir uns gemeinsam mit allen Beteiligten auf der Kärwa in der Neuen Mitte Boxdorf auf das gelungene Projekt anzustoßen.

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