Geschichte der Mitte

Nichts ist beständiger als der Wandel

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Ab 1860 entwickelte sich so eine blühende Ziegelindustrie.

Waren die mittelfränkischen Dörfer und Städte bis dato mit Baumaterialien aus Sandsteinbrüchen errichtet worden, setzte sich mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem immer schneller werdenden Wachstum der Bevölkerung, insbesondere in den Städten, der Ziegelstein durch.

Daher erwarb Siegmund Kirschbaum im Jahr 1865 das Areal rund um das noch heute bestehende Ziegeleigebäude. Der in der Region weitverbreitete Keuperton diente für die Produktion der Ziegel als Basis. Er war flexibler und schneller zu verarbeiten als Sandstein. 1900 nahm Siegmund Kirschbaum einen seiner Söhne, Emil Kirschbaum, als vollberechtigten Teilhaber in die Firma mit auf. Neben dem Werk in Boxdorf erwarb die Familie noch weitere in Eltersdorf sowie Untermimberg. Der Familienbetrieb, der unter dem Namen Vereinigte Ziegelwerke geführt wurde, warb mit der damals beträchtlichen Gesamtproduktion von jährlich 35 Millionen Steinen.

Einem Sonderabdruck aus der Tonindustrie-Zeitung (Nr. 65) aus dem Jahr 1912 ist zu entnehmen, dass es sich beim Boxdorfer Werk um die älteste „Dampfziegelei mit deutschen Öfen“ im Raum Nürnberg gehandelt hat. Vor allem die Produktion war beträchtlich. „Die große Presse liefert in zehnstündiger Schicht 35.000 Reichsmaßziegel. Die Tagesleistung der beiden kleineren Pressen, die abwechselnd betrieben werden, beläuft sich auf je 20.000 Mauerziegel oder 15.000 Rohbauziegel.“ Auch die Lager waren gewaltig. „Die Trockenanlagen …, die mit Gleiswagen befahren und mit Abdampf bzw. Frischdampf geheizt werden, nehmen insgesamt einen Belag von 500.000 Mauerziegeln auf, während die 10 Trockenschuppen einen Belag von 800.000 Mauerziegeln fassen.“ Waren die Ziegel trocken genug, wurde die Abfuhr mit Pferdefuhrwerken bewerkstelligt. Etwa zwölf Millionen verließen pro Jahr das Boxdorfer Werk meist nach Nürnberg, das rund sieben Kilometer entfernte Hauptabsatzgebiet.

Nach dem Tod von Siegmund Kirschbaum (1910) übernahm sein Sohn Ludwig die Alte Ziegelei in Boxdorf, die in Untermimberg sowie jene in Eltersdorf gingen an dessen Brüder. Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 waren Aufzeichnungen zufolge allein in Mittelfranken 56 mit Dampfmaschinen betriebene Ziegeleien in einem Umkreis von etwa 15 Kilometer um Nürnberg herum entstanden. Mit Ausbruch des Krieges mussten alle ihre Produktion einstellen. Nach Kriegsende nahmen nur noch 31 Werke den Betrieb wieder auf. Die Alte Ziegelei in Boxdorf hatte dann im Jahr 1928 ausgedient. Zunächst wurden Teile des Areals für den Gemüseanbau verpachtet. Manche Unterstände dienten Bauern später auch als Schweineställe.

1939 erbte Ludwigs Gemahlin Emma Kirschbaum zusammen mit ihren Töchtern das Areal, ehe es 1960 gänzlich an Ruth, Elisabeth und die im Jahr 1931 geborene Eva-Maria Kirschbaum übergehen sollte. Die 90-jährige Eva-Maria Kirschbaum ist heute die einzige lebende Nachfahrin, die den Namen Kirschbaum noch trägt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde Boxdorf von englischen Bombern angegriffen Dabei brannte auch ein Gebäude der Alten Ziegelei nieder. Lediglich ein Produktionsgebäude und ein Verwaltungsgebäude sind erhalten geblieben und trotzen bis heute dem Zahn der Zeit. Die vier zwischenzeitlich noch stehenden, aber nutzlos gewordenen Schlote der Fabrik wurden einst bei Feuerwehrübungen kontrolliert gesprengt. Eine der nahegelegenen ausgehobenen Lehmgruben füllte sich mit Wasser und ist heute unter dem Namen Fischweiher Ortsansässigen ein Begriff.

Eva-Maria Kirschbaum erinnert sich gut daran, was mit dem Gelände nach Kriegsende geschah und an wen Teile verpachtet wurden. Beispielsweise an den Nürnberger Motorradhersteller Ardie, Arno Dietrich. Auch ein Brillenschleifer sowie ein Kugelschreiberfabrikant wurden in den 50er/60er Jahren ansässig. Kurt Füglein, der die erste Fiat-Vertretung in der Region aufbaute, stellte hier seine private Motorradsammlung unter.

Im Jahr 1967 schaffte es die Alte Ziegelei in die Schlagzeilen: Ein bewaffneter Räuber hatte nach einer Verfolgungsjagd mit 35 Streifenwagen der Polizei sein gestohlenes Fahrzeug auf dem Schotterplatz abgestellt und war von dort per Anhalter geflohen.

1968 wurden die Ställe entfernt, die landwirtschaftliche Nutzung eingestellt. Im selben Jahr gründete sich der Verein Gut Schuss Boxdorf, der einen Teil des Grundstücks pachtete, um darauf sein Vereinsheim und Sportanlagen für Luftpistolen-, Luftgewehr- und Bogenschützen zu errichten. Auf weiten Teilen des restlichen Geländes wurde ein Kärwaplatz eingerichtet. Die Stadt pachtet seither 5000 Quadratmeter für einen symbolischen Pachtzins und kümmert sich um die Instandhaltung. 1970 stand das erste Bierzelt auf dem Platz. Getanzt wurde noch in der Turnhalle. Auch Feste von den Sportvereinen wurden bei Musik und Bier veranstaltet. 1986 ließ sich außerdem der Boxdorfer Kaninchenzüchterverein auf dem Gelände nieder. Die „Kärwaboum“ fertigen ihre Umzugswagen in einer der leerstehenden Hallen der Ziegelei und wissen dort kräftig zu feiern.

 

Das Areal blieb über viele, viele Jahre ganz im Sinne der Familie Kirschbaum für die Boxdorfer Bevölkerung geöffnet. Im Jahr 2019 entschied sich die nächste Erbengeneration schließlich dazu, das Areal zu beleben und einen Investor zu suchen. Sie trat an Immobilienunternehmer Gerd Schmelzer heran, der mit seiner Firma alpha Gruppe bereits seit den 1980er Jahren ein Gespür für die Revitalisierung von Brachflächen zeigt.

 

Dem ersten spontanen Kennenlernen folgten weitere Treffen, in denen konstruktiv und einfallsreich ein ungewöhnliches Vertragswerk geschaffen wurde. Bei der künftigen Entwicklung des Geländes wird auf Tradition gebaut sowie auf Innovation mit richtungsweisendem, sozialem, ökologischem, energieeffizientem Wohnungsbau gesetzt. Nach vielen Jahren im Dornröschenschlaf soll das Areal wieder eine neue Lebendigkeit erfahren.

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